Calla

Als Herzog Leopold seine Ritter und Getreuen um sich versammelte, um mit Waffengewalt seine Herrschaft den Eidgenossen wieder aufzuzwingen, eilte auch ein böhmischer Ritter dem Heere des glänzenden Fürsten entgegen. Seine Geliebte hatte ihm Samen der Blume Calla mit auf den gefährlichen Weg gegeben. Zum Abschied sprach die Holde: «Da, mein Geliebter. Nehmt dieses Säcklein mit und tragt es unter dem Panzer auf der Brust. Dies soll mit Gewissheit sein, dass ich euch wiedersehe. Denn die Frucht der Calla bringt Glück und schützt jeden, der sie trägt, vor Hieben seiner Gegner. So hat es mir die Blume versprochen, die ich in meinem Garten ziehe.»

Die Schlacht entbrannte im Juli desselben Jahres, hoch über dem Städtchen Sempach, auf den Feldern, die der Ernte entgegen reiften. Furchtbare Ernte aber hielt der Tod unter den Männern. Bürger, Bauern und Ritter starben, getroffen von tödlichen Schlägen. Auch Herzog Leopold fiel. Seine Getreuen flohen und versuchten sich zu retten. Nordwärts jagten sie davon. Der böhmische Ritter aber wandte sich nach Süden und suchte Schutz in den dunklen Wäldern. Still lobte er die Treue der Blume an seiner Brust. Wie er aber durch den Wald kam, stiess er auf ein Trüppchen Eidgenossen. Da, im heutigen Chüsenrain, erschlugen sie ihn kurzerhand, nahmen ihm seine Rüstung ab und warfen den Leichnam in das nahe Moor. Weit verbreitete sich die Kunde von der Niederlage der Habsburger und dem Tode Leopolds. Sie drang bis nach Böhmen, wo die Frau des Ritters still harrte. Als er aber nicht erschien und sein Tod zur Gewissheit wurde, entbrannte sie in Zorn über die Blume. Sie stieg in den Garten, riss sie aus und warf sie in den Burggraben. «Verflucht seiest du ob deiner Treulosigkeit. In alle Ewigkeit sollst du dich von diesem Rufe nicht befreien können.»

Jahre nach der Schlacht entdeckte man im Chüsenrainwald bei Sempach die Blume. In geheimnisvoller Schönheit wuchs da die sagenumwobene Calla. Noch heute ist dies einer ihrer wenigen natürlichen Standorte in der Schweiz. Die Korporation Sempach schützt langfristig den Lebensraum der sehr seltenen Calla palustris (Sumpf-Drachenwurz). Das Waldreservat im Chüsenrainwald wurde im Jahre 2005 für 50 Jahre ausgeschieden. Es umfasst eine Zone ohne forstliche Nutzung und einen Bereich mit zielgerichteten Eingriffen für die sagenumwobene Calla.